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Film: Carol (2015)


Titelbild, Trailer & Bildausschnitte © by Universum Film & DCM


Fakten
Jahr: 2015
Genre: Liebesfilm, Drama
Regie: Todd Haynes
Drehbuch: Phyllis Nagy, Patricia Highsmith (Romanvorlage)
Besetzung: Cate Blanchett, Rooney Mara, Sarah Paulson, Kyle Chandler, Jake Lacy, Cory Michael Smith
Kamera: Edward Lachman
Musik: Carter Burwell
Schnitt: Affonso Gonçalves


Review
Einsam streift Therese’s Blick durch das wuselnde Treiben eines New Yorker Kaufhauses – zunächst noch ziellos über die bunt gemischten Spielwaren und eifrig das Weihnachtsgeschäft ankurbelnden Kunden, wie sie es ganz unbewusst und automatisch immer dann tut, wenn mal ein wenig Luft zum Durchatmen ist. Doch dann, inmitten der grauen Masse aus Menschen, steht sie plötzlich da. Carol. Eine anziehende, elegante Frau, die eine magische Aura zu umgeben scheint. Und als sich in einem einzigartigen, schier endlos anmutenden Moment die Blicke der Zwei erstmalig treffen, wird schlagartig klar, dass das vorsichtige Abtasten der Umgebung in Wahrheit vielleicht ein stetiges Suchen war. Nach etwas, von dem Therese tief in sich schon immer wusste, dass es sie vervollständigen kann, ihr Erfüllung und Glück bringen wird, jedoch an einem Ort versteckt liegt, an dem zu suchen man sich im USA der 50er-Jahre noch nicht zu suchen erlaubte.

Ein überwältigendes erstes Zusammentreffen zwischen Therese und Carol, welches stellvertretend den weiteren Verlauf eines überaus gelungenen Films einleitet: Todd Haynes’ Romanadaption CAROL zehrt in seiner zurückhaltenden, dabei jedoch immerfort hoch emotionalen Erzählung durchweg von feinsten, filigranen Nuancen. Die große Geste ist hier fremd, denn es sind kleine Blicke, aus denen das gesamte Gefühlsspektren einer Figur spricht. Die sanfte Berührung einer Hand auf der Schulter sagt uns mehr, als jedes Wort es könnte. Bereits die Andeutung eines Lächelns kann Spannungen auflösen und als erlösendes Moment agieren. CAROL muss nichts aussprechen, weil die Geschehnisse in jedem Frame für sich sprechen.

Die widrigen Rahmenbedingungen, in denen die Geschichte angesiedelt ist (und die später ihren Tribut fordern werden), drängen dem unwissenden Zuschauer förmlich die Erwartung auf, hier vor allem ein kritisches gesellschaftliches Portrait und den zermürbenden Kampf zweier Menschen gegen das Unverständnis erleben zu dürfen – immerhin erzählt Haynes eine lesbische Liebesgeschichte zwischen einer glamourösen Dame von Welt und einer jungen, vielleicht gar naiven Verkäuferin in besagter Zeit, also etwas, das es damals nicht geben “durfte”. Was nicht “richtig” war und diametral dem konservativen “American Way” widersprach. All dies steckt durchweg in CAROL, zieht sich wie ein stiller Begleiter durch jede Einstellung, vor allem aber jede Handlung der Figuren, leben diese doch schließlich in einer Welt, deren Konventionen den Menschen im schlimmsten Fall das elemantere Recht auf Entfaltung absprechen. Sie einkesseln. Gefangen halten, in dem was sein “muss”, obwohl das was sein “könnte” viel nötiger gebraucht würde.

Doch so wichtig, sowohl als kritisches Zeitportrait, wie auch für den Fortgang der Ereignisse in CAROL, diese Aspekte auch sein mögen, fokussiert sich Haynes’ Inszenierung in ihren Schwerpunkten auf andere Aspekte. Sie will erreichen, was vielleicht die größte Herausforderung überhaupt für Filmemacher ist und daher etwas, woran Hollywood in mindestens neun von zehn Fällen scheitert: Die Liebe als etwas durch und durch wunderbares, rational nicht erklärbares, im höchsten Maße sinnliches auf der Leinwand erfahrbar machen. Sie in einem berührenden Tanz aus Bild und Klang einfangen, um uns den seltenen Blick unter die Oberfläche zu gewähren – in Seelen und Herzen, deren Wünsche und Träume die Triebkraft für die Wahl eines steinigen Weges sind, weil am Ende dieses Weges alles liegt, was ein Mensch sich wünschen kann.

Und es gelingt. Ob es dafür tatsächlich des Kunstgriffs bedurfte, die Figurenkonstellation in eine Epoche zu versetzen, in der die gezeigten Gefühle  noch tabu waren, also keinesfalls nach außen getragen werden durften, um das nötige Feingefühl in ihrer Darstellung einzufordern, oder Haynes schlichtweg das richtige Händchen hatte, spielt keine Rolle, denn das Resultat überwältigt.

Die Sehnsucht, das Begehren, die stetige Unsicherheit – CAROL fängt die facettenreichen Gefühlswelten der zwei ungleichen Frauen so ehrlich, so präzise und in der Essenz so berührend ein, dass man mehrfach aufstehen, jubeln und applaudieren möchte. All die pervertierten emotionalen Oberflächlichkeiten des gängigen Kino-Zirkus scheinen Lichtjahre entfernt, ja fast vergessen und vergeben – ein notwendiges Übel, welches es anscheinend zu ertragen gilt, weil dann, bei der schmerzvollen Suche nach erlebbaren Gefühlen, immer mal wieder ein Film wie dieser herum kommt, in dem so sehr die Impression regiert etwas echtes, wahrhaftiges zu erleben, dass sich jeder Fehlgriff auf dem Weg gelohnt hat. CAROL ist die Antithese zu den lustlos herunter gekurbelten Werken voll leerer Versprechungen und stereotyper Klischees, die die Darstellung von Liebe im Kino in den letzten Jahr(zehnt)en hochgradig pervertiert und fast zerstört haben, sondern handelt von echten Gefühlen, die Kraft und Halt geben, und bei ihrem Wegfall eine kaum erträgliche Wunde reißen.

Daran trägt vielleicht Patricia Highsmith’s Romanvorlage Mitschuld, ganz sicher die Drehbuchadaption aus Phillis Nagy’s Feder, aber vor allem das meisterhaft ineinander verwobene Zusammenspiel aus dem, zwischen erhabener Größe und feinfühliger Subtilität pendelndem Schauspiel der zwei Hauptdarstellerinnen und der durchweg brillanten Kameraarbeit. Wie auf den Fotografien, die im Film eine so prominente Rolle spielen, weil Therese als aufstrebende Fotografin stetig auf der Suche nach dem emotionalen Kern ihrer Motive ist, gelingt es auch Kameramann Ed Lachman auf körnigem 16mm-Film Momente einzufangen, die weit über die reine Abbildung hinaus eine tiefschürfende Geschichte erzählen.

Immer wieder greift er höchst subjektiv die Blicke der Protagonistinnen auf – ein weiterer Faktor, der die tatsächliche Erfahrung der gezeigten Gefühle enorm katalysiert – und spielt mit ihnen, lässt sie mal seitwärts in die Unschärfe gleiten, sinnbildlich für die ungewisse Zukunft, die die Zwei in diesen schweren Zeiten erwarten wird, oder uns an anderer Stelle doch wieder “nur” zum stillen Beobachter der Ereignisse werden. Nicht selten verdient die Kamera das Prädikat “perfekt” – hier sehr wohl und uneingeschränkt. Komponist Cater Burwell, dessen melancholische Arrangements aus Piano und Streichern – wahrscheinlich seine beste Arbeit seit IN BRUGES –  genau den richtigen Ton treffen, um dem Ganzen das letzte Bisschen emotionen Unterbau zu verleihen, rundet das Werk endgültig ab.

CAROL ist fantastisches Darstellerkino, nah an perfekt inszeniert und ein Exemplar einer sehr seltenen Gattung: ein hochgradig berührender, durch und durch wunderschöner Liebesfilm.


Wertung
9 von 10 zarten, herantastenden Blicken


Veröffentlichung
CAROL erscheint am 22. April 2016 im Vertrieb von Universum Film bei DCM als BluRay und DVD. Die Discs kommen in einem Slipcase und mit Wendecover ohne FSK Logo.


Weblinks
IMDB
MOVIEPILOT
LETTERBOXD
Streamen: Werstreamt.es
Leihen: LOVEFILM
Amazon (*) (falls ihr das Amazon-Widget nicht seht, wird es von eurem Ad-Blocker gekillt):

4 Gedanken zu „Film: Carol (2015)“

    1. Rückwirkend hätte ich den auch gern im Kino gesehen. Die Inszenierung driftet in den Szenenübergängen, etc. immer wieder ins Rauschhafte. Auf Leinwand ist das sicher toll!

  1. Ich hatte auf die Verfilmung des mir langvertrauten, für die Geschichte der lesbischen Literatur wichtigen Romans gespannt gewartet und wurde nicht enttäuscht.
    Diese eine Szene, die man ganz am Anfang und später noch einmal sieht und deren Bedeutung man erst beim zweiten Mal versteht, ist mir besonders positiv aufgefallen.

    1. Schön mal wieder was von Dir zu hören Da freue ich mich wirklich!

      Ich selbst war mir der Tragweite (bzw. des Impacts) des Romans nicht so wirklich bewusst. Um die Veröffentlichung unter Pseudonym wusste ich allerdings, was ja Bände in Bezug auf die damaligen Zustände (und somit natürlich die im Film gezeigte Zeit) spricht. Ob ich das mit rein getragen habe? Weiß nicht. Fest steht aber: Insgesamt habe ich einfach einen sehr guten Film gesehen, der mich tief berührt hat

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