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#52FilmsByWomen 2020 #5 – THE LURE (Córki dancingu)

Titelbild © by Criterion Collection

#5: The Lure von Agnieszka Smoczyńska

Ich hätte wirklich nie gedacht, dass ich den folgenden Satz jemals über einen Film sage, in dem exzessiv gesungen, getanzt, doppelplus-dick aufgetragen und voller Pathos performt wird, aber verdammt noch mal, das polnische Anarcho Horror-Musical, welches da eben über meinen Schirm flimmerte, triggert eine wahrlich euphorische Reaktion: SO LIEBE ICH MEIN KINO!

Von Regeln gelöst, frei und eigenwillig, lässt dieses bunte Mischmasch aus Fantasy, Mystik, Disco-Vibes und Gore filmische Aspekte wie eine gewöhnliche Narration vollkommen links liegen, um Bild und Ton rauschhaft, exzessiv und in vollen Zügen zu zelebrieren. Funktioniert, denn von Freude und Spaß, über Herzschmerz bis Angst, ruft THE LURE, teils sprunghaft chaotisch, eine ganze Bandbreite an Emotionen ab.

Der inhaltliche Mix ist so krude wie stark: Zwei bezaubernde Meerjungfrauen, die eben noch Disco-Songs performen und im nächsten Moment ihren Opfern brutal das Herz heraus reißen, schweben anmutig, in wabernden, traumartigen Bildern durch das bunte Licht eines 80er Jahre Tanzclubs im Ostblock und uns Zuschauer nehmen Fluss (und ja, auch Tanznummern und Songs) dieser Inszenierung regelrecht gefangen.

Abseits der vereinnahmenden Ästhetik arbeitet sich Agnieszka Smoczynska an klassischen Märchenformeln ab. Die jungen Frauen fechten einen tief gehenden Konflikt mit der eigenen Identität aus – Meerjungfrau bleiben, oder diese besondere Identität für die Liebe aufgeben (was natürlich einen Preis mit sich zieht). Der Struggle des Coming-Of-Age.

Angereichert sind die Subtexte allerdings mit mit weit mehr, als den Stolpersteinen der Adoleszenz. Der Film spielt in der ex-UDSSR und wurde von einer Frau aus diesem Kulturkreis gedreht – da ist Systemkritik, bzw. zumindest ein sinnieren über besagtes System nicht weit. THE LURE thematisiert in den Texten der Songs, sowie den Settings viele Fragen von politischer und auch feministischer Dimension

Ich will gar nicht behaupten, dass die Bilder und Songs durchweg profunden Inhalt und deepe Metaphern enthalten, vieles könnte man auch als reinen Genuss an der Form sehen, in die man aktiv Dinge reinlesen muss, aber was soll’s – ich saß fröhlich, beeindruckt und mit offenem Mund da, freute mich, grübelte und wollte mehr davon.

Bezeichnend (und frustrierend) ist eigentlich nur, dass solch ein Film hierzulande zwar einen Titel hat (SIRENENGESANG), aber noch nicht mal mit einer Veröffentlichung – weder physisch, noch digital – gewürdigt wird. Doof, aber was soll’s, die 18 Pfund für die Criterion Disc sind nicht ein Penny zu viel – gebt sie ruhig aus.

#52FilmsByWomen 2020 #4 – Das Mädchen Wadjda

Titelbild © by Koch Media

#4: Das Mädchen Wadjda von Haifaa al-Mansour

Der erste Spielfilm der ersten Saudi-Arabischen Regisseurin dreht sich von vorn bis hinten um die “Rolle”, dechiffriert also “um die Unterdrückung” der Frau in der arabischen Gesellschaft.

Es geht in diesem Film um eine, aus unserer (verdammt freien!) westlichen Sicht, ziemlich simple Sache: Ein Mädchen möchte Fahrrad fahren.

Und dass dies in gewissen Teilen der Welt in diesem Jahrtausend so konsequent verhindert wird, dass es immer noch eine Unmöglichkeit darstellt, hat mich unglaublich wütend gemacht, mich in meinem Hass auf patriarchale Machtstrukturen bestärkt, es mir ein erneutes Mal umso schwerer Gemacht (sämtliche) Religion(en) nicht ebenso zu hassen, mich gerührt, mich bewegt und mir am Ende zum Glück auch ein Bisschen Hoffnung gemacht.

Denn das titelgebende Mädchen Wadjda – umwerfend gespielt von Waad Mohammed – hinterfragt das System in dem sie lebt mit der schärfsten Waffe, die uns zum Ausbrechen aus sinnbefreiten Strukturen gegeben ist: gesundem Menschenverstand. Selbiger bringt sie schnell zu der Erkenntnis, dass das für sie geltende Verbot ungerecht ist, dumm und selbst mit aller Vorstellungskraft der Welt nicht auf nachvollziehbaren Argumenten oder gar Fakten basiert (es ist so, weil es schon immer so war und Menschen, vor allem Männer, gern darauf bestehen, dass Dinge so bleiben wie sie sind – die waren ja schließlich schon immer so). Und dank dieser Erkenntnis, nimmt sie die Zustände einfach nicht hin, fordert Erklärungen statt Befehlen, steht für ihre Sache ein und schafft es mit Beharrlichkeit irgendwann etwas zu bewegen.

Dabei sind ihr nicht einmal alle Männer, die ihr Vorhaben blockieren, ablehnend oder feindselig eingestellt – für viele ist das einzige Problem an dem Wunsch nach einem Fahrrad, dass das kollektive Bewusstsein der Gesellschaft diese Vorhaben nicht als schicklich ansieht. Durch konsequentes hinnehmen, statt hinterfragen, werden Menschen zum Zahnrad eines kaputten Konstrukts.

Treffend wird die traurige Wahrheit, wie bestehende Systeme in Schieflage unsere menschlichen und charakterlichen Werdegänge lenken, an Wadjdas heimlichen Kumpel Abdullah angedeutet. Jung (und unverdorben) lässt er Wadjda gern auf seinem Fahrrad fahren, versteht die Verbote ebenso wenig, aber hat im Gegensatz zu ihr keinerlei Bedürfnis gegen sie zu rebellieren – ihm werden schließlich immer alle Türen offen stehen und mit großer Wahrscheinlichkeit braucht es nur noch etwas Zeit, bis er selbst beginnen wird den Status Quo zu pflegen, oder schlimmer noch zu verteidigen. Warum auch mit unpopulären Ansichten die eigene Position gefährden, wenn man doch alle Freiheit hat.

Beängstigend ist es im Zuge aller dieser Themen auch, dass dies bis jetzt Waad Mohammeds einziger Film ist. Der Zyniker in mir befürchtet, dass sie wahrscheinlich der “Bestimmung” ihres Geschlechts zum Opfer gefallen ist und mittlerweile zwangsverheiratet und eingesperrt hinter hohen Mauern vor sich hin vegetiert. Schauspiel ist FÜR EINE FRAU doch wirklich etwas viel – Kochen und Erziehen hinter verschlossener Tür steht den Damen doch nun wirklich besser.

Sorry, mir bleibt bei so fundamentalen Unrecht oft nur hilfloser Fatalismus übrig. Aus diesem wächst aber wenigstens der Wille, wann immer möglich dafür einzustehen, dass Gleichberechtigung immer und überall ein elementares Gut ist.

Mein Fazit zur emotionalen Zerstörtheit, die dieser Film auslöste: Ein riesengroßer Mittelfinger geht raus in Richtung aller Gottesstaaten, Zwangshochzeiten, unterdrückenden Arschlöchern und all dem obsoleten Mittelalter-Scheiß, der wir hier noch thematisiert wurde.

#HabSonnHals!

#52FilmsByWomen 2020 – Der Anfang (aka Filme #1-3)

Titelbild © Concorde Video

Wie ich in meinem Comeback-Post bereits beschrieb, wurde ich auf die #52FilmsByWomen-Aktion erst im April aufmerksam. Umso interessierter war ich daran, wie viele, ähem, naja, wohl eher wie wenige Filme von Frauen ich in den ersten 16 Wochen des Jahres bereits gesehen hatte.

Die ernüchternde Antwort: Drei.

Und obwohl ich retrospektiv zu diesen Filmen nur jeweils einen Tweet absetzte, möchte ich sie hier gerne, als kleines Warmup, erwähnen und empfehlen. Daher im Folgenden wenige Zeilen pro Film.

#1: Destroyer von Karyn Kusama

Ein atmosphärisch gelungener Cop-Thriller mit starken Anleihen an persönlich erzählte “Abstiegs-Dramen”, der viel Zeit mit dem Schicksal der von Nicole Kidman gespielten Hauptfigur, sowie der Verschleierung der entscheidenden Momente in ihrer Vergangenheit verbringt. Teilweise packend, doch im Strom der Ereignisse tun sich immer wieder Durststrecken auf, der Verlauf wirkt etwas ziellos und zerfasert.

Highlight sind zwei (überragende) Heist-Szenen, die vor Spannung zu zerbersten drohen und in denen ich Kidman alles geglaubt habe – ihre Wut, ihre Verzweiflung, ihre Gebrochenheit. Ganz im Gegensatz zur Maske, denn auch wenn sie darstellerisch alles tut, um ihre kaputte Figur auch ebenso wirken zu lassen – die Körperhaltung entspricht der einer alten Frau, Energie scheint sie selbst zum Atmen kaum noch übrig zu haben – konnte ich ihr insgesamt leider die Abgefucktheit nicht abkaufen. Zu aufgemalt sehen Furchen und Narben aus.

#2: Systemsprenger von Nora Fingscheidt

Ein zermürbender Film, dessen emotionale Wucht mich völlig umgehauen und lange nachgehalt hat. Die deprimierende Erkenntnis, dass es manchmal trotz aller Bemühungen des Umfelds und der Beteiligten für ein schwerwiegendes Problem keine Lösung gibt, schnürt Fingscheidt in ihrem Langfilmdebut zu einer unerträglich krassen Dosis Realität zusammen.

Das Beispiel eines schwer, bzw. un-erziehbaren kleinen Mädchens, welches von Heim zu Heim und Pflegefamilie zu Pflegefamilie geschoben wird, brachte mich enorm zum Nachdenken über unser menschliches Wesen und die Einflussfaktoren darauf. Was formt uns, was spielt in unsere Wesensentwicklung rein? Und gibt es einen Point-of-no-return, an dem das Fehlen von menschlicher Wärme (und die angedeutete erfahrene Gewalt) bereits in jungen Jahren für irreversible Schäden sorgen?

Der kleinen Benni wünscht man nur das Beste, weil sie doch eigentlich nur die Liebe ihrer Mutter möchte, ihr dabei zuzusehen, wie sie an den Institutionen scheitert (und diese an ihr) zerreißt das Herz, dass all diese Verfahrenheit zu verknotet ist, um sich noch aufzulösen, gibt den emotionalen Todesstoß.

#3: Unicorn Store von Brie Larson

Mit ihrem Regiedebut hat sich Brie Larson leider komplett verhoben, denn sich selbst in die Hauptrolle besetzen, war bei unerfahren Regisseur*innen in den seltensten Fällen eine gute Idee.

So auch hier, denn Larson selbst stolpert verplant als (enorm) unsympathische Figur durch zwar bunte, aber dennoch ideenlose Settings und langweilt in Szenen voll holziger, repetitiver Dialoge. Befremdlich ist dabei vor allem ihr Humorverständnis – das Klamotten farbig, oder Frisuren wild sind, scheint ihr bereits als Gag zu taugen, psychische Verwirrtheit verwechselt sie mit Individualismus, angepissten Teenager-Vibe mit sympathischem Coming-of-age.

Wirklich öde hoch zehn und eine Gurke von Film. In seinem farblosen Versuch ein aus der Welt gefallenes Manic-Pixie-Dreamgirl zu kreieren, ist Unicorn Store auf dem Feld der “bunt & querky”-Filme fast schon wieder herausragend.

Wie #52FilmsByWomen mich wieder zum Schreiben brachte

Stetig war es zu hören, das kühle Pfeifen des Windes, welcher hier über eine leere Steppe wehte, die einst ein lebendiger Wald aus inbrünstigen Musikempfehlungen und halbwegs vernünftig formulierten Film-Reviews war.

2018 hatte ich eine (als vorübergehend erhoffte) Pause mit dem Schreiben verkündet, weil das Ganze eher zur Pflicht verkommen, denn Spaß geblieben war.

2019 flammte dann wieder vereinzelt der Impuls auf, gesehene Filme mit ein paar Worten zu ehren (bzw. niederzumachen), so dass ganze vier Einträge ihren Weg auf diese Plattform fanden.

In 2020 herrscht bis jetzt wieder gähnende Leere…

Wer meine anderen Online-Präsenzen verfolgt (was ihr sicherlich alle tut, denn wer könnte relevanter für den medialen Kurs und eure persönlichen Star-Kulte sein, als der jackermonkey [/Sarkasmus off]), könnte aber mitbekommen haben, dass es nicht an Motivation mangelte, sich lang und breit mit Filmen und den Themen in ihnen auseinander zu setzen – im Gegenteil. Einzig das Medium hatte sich gewandelt.

Ich habe es nicht zusammen gerechnet, aber grob geschätzt habe ich in 2018-2020 bei Enough Talk! und Superhero Unit etwa 70 Podcast-Episoden mit im Schnitt je ca. 2,5h Laufzeit veröffentlicht. Irrsinnige Eskapaden in diesem Portfolio an Sendungen – zum Beispiel der insgesamt ca. 13 stündige Jahresrückblick 2018 mit Christian Steiner – deuten an, dass das Mitteilungsbedürfnis ungebrochen war. Nur eben in Wort, statt in Schrift.

Und dies dominierte auch lang meine Auseinandersetzung mit der Kunstform – warum in wenigen Worten wenige Aspekte eines Werkes ausloten, wenn es doch verbal so viel umfangreicher geht? In der Theorie richtig, aber dem Ganzen fehlt ein wesentlicher Aspekt, der meine Texte hier früher stark dominierte: Das Format eignet sich nur bedingt, um unmittelbar nach dem Schauen eines Films die ersten Gedanken, die Überwältigung, die Wut, das Glück, etc. einzufangen und zu kanalisieren.

Das fehlte mir beim Casten manchmal ein wenig, da man Sendungen oft erst Tage nach dem Schauen aufzeichnet und (im worst case) die Stimmung nach dem Film wieder aktiv heraufbeschwören muss, statt noch voll auf der Welle zu schwimmen.

Auf den anderen Seite stellte ich mir aber immer wieder die Frage: “Worüber lohnt es sich zu schreiben?”

Und die Antwort lieferte mir eine Aktion, die ich Anfang des Jahres auf Twitter entdeckte: #52FilmsByWomen

Der Grund für das Aufkommen dieser Aktion ist ganz simpel. Wir alle schauen leider stetig viel zu wenige von Frauen gemachte Filme.

Das passiert aus verschiedensten Gründen und wenn man diese alle auflistet (was ich aus Gründen des Umfangs hier nur anreiße), zeigt sich ganz gut, dass sie Hand in Hand einen perfiden Teufelskreis formen.

Am wichtigsten sind wohl zwei Faktoren:

  1. Weil das schon immer so war: Da Popkultur seit jeher männlich dominiert ist, und unser liebes Publikum leider vor allem immer mehr von dem will, was es bereits kennt, schaut es vor allem Filme, die dieser Jahrzehnte lang praktizierten Sozialisierung entsprechen. Von Männern (also in “männlichem Ton”) erzählte Geschichten, in denen zumeist männliche Helden die Welt retten – Hollywood wie es schon immer leibte und lebte – sind nach wie vor das dominierende Ding. Die ANgst vor Veränderung dieser Erzählmuster geht so weit, dass weibliche Stars und Filmemacherinnen langsam davon genervt sind, dass sie keinen eigenen Ton entwickeln dürfen, sondern nur mit weiblicher statt männlicher Hauptrolle alte Muster replizieren.
  2. Gender Bias: Weil es in der Filmindustrie (wie leider auch in so gut wie jeder anderen Industrie) ein extremes Ungleichgewicht auf Ebene der Entscheider hin zu Männern gibt und diese dazu neigen Jobs und Projekte eher an ihnen selbst ähnelnde Akteure (also Männer) zu vergeben, plus, wie andere Studien zeigen, sogar Frauen dazu neigen, eher Männer einzustellen, gibt es schlichtweg weniger Filme von Frauen. Frauen müssen zudem viel höhere Hürden überwinden, um Projekte zu realisieren, bzw. nach einem Flop noch mal ein Projekt zu bekommen (sorry, ich finde den Link nicht mehr, googelt mal selbst, Hinweise sind willkommen), die Angst der Männer vor Machtverlust scheint immens zu sein (was so weit geht, dass Companies mit Frauen im Management-Board größere Probleme haben Investoren zu mobilisieren).

Das führt zu der prekären Situation, dass es weniger Filme von Frauen gibt, die zudem auch noch strenger bewertet werden, weil sie unter Umständen eine andere Tonalität und Erzählweise haben, weswegen sie schneller als Flop gelten, weswegen es noch weniger Filme von Frauen gibt. Teufelskreis.

Und um dies aufzubrechen, sollte jede*r Filmfan sich vornehmen in den vielen Sachen die man schaut wenigstens (mehr geht immer) einmal pro Wochen einen Film einer Regisseurin zu sehen und darüber zu twittern, bloggen, podcasten, oder vielleicht einfach nur mit Freund*innen und Bekannten zu reden.

Im Gegensatz zu #horrorctober, #oWEstern und was es da noch alles gibt, erschien mir diese Aktion endlich einmal wirklich wichtig, weil sie uns dazu motiviert den Bias zu bekämpfen und Filme zu sehen, die wir sonst nicht sehen würden, anstatt (wie bei obigen Beispielen) nur Genres die wir eh schauen in ein bestimmtes Zeitfenster zu verschieben.

Und deswegen beschloß ich (in Woche 16, als ich von #52FilmsByWomen hörte) auch mitzumachen. Ein paar Filme von Frauen hatte ich dieses Jahr zu diesem Zeitpunkt schon gesehen und den weiteren Rückstand “aufzuholen” musste möglich sein. Bzw. schrieb ich damals: es nicht zu schaffen, wäre ein Armutszeugnis

Gesammelt habe ich die Filme in einer Letterboxd-Liste, promoted habe ich sie über Tweets, bzw. einen Twitter-Thread. Doch irgendwann merkte ich, dass ich für jeden Film 4-5, später 10-12 Tweets brauchte, um meine Gedanken zu sammeln, begann sie auf Letterboxd zu posten und plötzlich war es geschehen: Ohne es zu merken, hatte ich wieder mit dem Review-Schreiben begonnen.

Dass ich das nicht gleich hier tat, hatte den simplen Grund, dass ich ja davon ausging “nur ein paar Worte pro Film zu schreiben”. Aber da es deutlich mehr wurde, haltet die Augen offen, ich werde in den nächsten Tagen beginnen, diese Reviews ins Blog zu überführen – wer weiß, vielleicht beginnt die zweite Renaissance von Jacker’s 2 Cents? Ich selbst bin gespannt wo es hin führt.

Die humanistische Melancholie in AD ASTRA

Beitragsbild (c) by 20th Century Fox

James Gray macht Filme, die ich immer – zumindest in den Exemplaren die ich kenne – als unperfekt ansehen würde. Filme, deren Gesamtbild sich aufgrund der Anordnung und Beschaffenheit einzelner Szenen unrund anfühlt, oder die an den sich auf tuenden Kreuzungen der Dramaturgie seltsame Abzweigungen nehmen, sich zeitweise gar auf fremden Terrain verirren. Und doch treffen diese ungeschliffenen Diamanten immer wieder einen ganz besonderen emotionalen Spot in mir.

Als z.B. Jeremy Renner in THE IMMIGRANT als Magier vor gestrandeten Auswanderern eine Rede über die Möglichkeiten in der Freiheit des neuen Lebens hielt, inszenierte Gray dies – ganz der Sache entsprechend – mit einer solch magischen Hoffnung für die Zukunft, dass mir die Tränen in den Augen standen. Danach brach der Film diese Aussagen in Ambivalenz auf und demaskierte den American Dream, verirrte sich aber dann zunehmend in seiner Erzählung und scheiterte auf dem höchsten denkbaren Niveau.

Und auch hier in AD ASTRA passt vieles nicht zusammen – leise in sich gekehrte charakterliche Emotionalität trifft auf Mond-Action, ein melancholischer Abgesang auf die Menschheit und ihren gierigen Raubbau an der eigenen Zukunft trifft auf die angenehm angekitschte Hoffnung, dass die Menschen und ihre Liebe zueinander langfristig siegen können. AD ASTRA prangert an was mies läuft, prognostiziert sogar, dass das alles in Zukunft nicht besser werden wird, egal wie weit wir technologisch kommen, doch kontrastiert dies mit der Gewissheit, dass tief in uns dennoch etwas schlummert, dass das Leben für uns und unsere nächsten Mitmenschen lebenswert macht. Oh Mann, viel drin in dieser Gleichung, auch einiges, was sich per se nicht vertragen dürfte.

Doch trotz all der inhärenten Widersprüchlichkeit gelingen Gray erneut Momente von absolut erhabener Emotionalität. Zahlreich. Ein immer kontrollierter, fokussierter, fast maschinell funktionierender Mann lässt nach Jahrzehnten erstmalig bis ins Letzte die Gefühle zu, die ein emotionaler Verlust der schlimmsten Sorte einst in ihn pflanzte und muss dahin gehen wo Milliarden von Kilometern um ihn herum nichts ist, um zu erkennen was er am Leben hat. Reise ins All als Reise ins Ich – nichts neues, aber in der vorliegenden Form auch nichts was je alt werden würde.

All dies mag nach simpler Küchen-Weisheit klingen, wenn man es nüchtern als Text runter getippt wird. Verpackt in Metaphern, Symbole und Stimmungen steht Wirkung jedoch weit über der Ratio. Dieser Film muss erfühlt werden, denn er wurde (zu gleichen Teilen) von Gray, dem unglaublich agierenden Pitt, sowie den zwei – jeweils zu den Besten ihrer Zunft gehörenden – Virtuosen Hoyte van Hoytema und Max Richter mit einer durchweg vereinnahmenden, hypnotisch anmutenden Sogkraft auf die Leinwand gebracht.

Some call it Kitsch, für mich ist AD ASTRA ein melancholisches Sinnieren über das Leben und den Menschen – ganz tief drin in Herz und Seele, wie auch makroskopisch, als Ressourcen- und Planeten-verschlingende Lebensform. Bin platt.